„Jeder kennt Depression“ – ich glaube, der Satz ist so nicht richtig. Ich würde frech behaupten.: Kaum einer kennt Depression, obwohl es Statistiken gibt, die sagen, dass jeder achte Mann und jede vierte Frau mindestens ein Mal im Leben depressiv wird. Es ist also eine Volkskrankheit. Doch niemand kennt die Symptome so genau. Und das macht es schwerer, auch für die Betroffenen, die oft selbst nicht wissen, an was sie eigentlich leiden.
Am Ende ist es eine sehr perfide Krankheit. Abgesehen von möglichen organischen Ursachen sind die Gründe vielfältig, warum jemand depressiv wird. Als Angehöriger kann es auch sein, dass man ein Teil dieser Gründe ist. Das hört natürlich niemand gern.
Für mich passt Depression sehr gut in unsere Zeit. Unsere westliche Welt steht auf Rationalität, auf Formeln. Unternehmen werden in Formeln gegossen, das logisch richtige hat Vorrang, alles muss mathematisch Sinn machen, sonst machen wir es lieber nicht. Wir leben die Spannung zwischen den Wünschen nach Inklusion und Distinktion. Solidarität wird weniger. Die Gefühlswelt wurde von der Werbung übernommen, dort wird fast alles über Emotionen verkauft. Gefühle sind überhaupt doch irgendwie eine Schwäche – und das ist für mich ein wichtiger Punkt, denn die Depression als Nicht-mehr-fühlen-können ist auch ein Ausweg: Ein Weg, Gefühle (ob wahrgenommen oder unterdrückt) nicht mehr haben zu müssen, weil sie nicht mehr auszuhalten sind. In einer Welt, die Gefühle nicht besonders schätzt, ist das doch auch naheliegend. Dabei ist Emotion immer dabei, in jeder Kleinigkeit, die man tut. Erst wenn sie ausfällt, wird klar, dass der Mensch ohne Emotion nicht kann, ja im schlimmsten Fall eben nicht mal aus dem Bett kommt.